Noch ist die neue E-Klasse von Mercedes als Erlkönig mit Tarnbeklebung unterwegs. Doch schon in knapp zwei Monaten wird diese auf der Automesse in Detroit Weltpremiere feiern. Wir hatten die Gelegenheit, bei einer der letzten Abnahmefahrten als Beifahrer teilzunehmen.
Der Anspruch, weiterhin die komfortabelste Limousine im Segment zu bauen, dürfte erfüllt werden: Auch die problematischen US-amerikanischen Freeways mit ihren oft ausgeprägten Querfugen und Schlaglöchern werden von der neuen E-Klasse souverän pariert. Der Geräuschkomfort ist dabei hervorragend: Nichts klappert und knarzt, und die Motoren halten sich weitgehend im Hintergrund.
Im Gegensatz zu früheren Modellgenerationen ist die E-Klasse jedoch auch auf kurvigen, anspruchsvollen Landstraßen nicht aus der Ruhe zu bringen. Trotz der betont komfortablen Auslegung lenkt die Limousine agil ein, und die Wankbewegungen bleiben auf ein niedriges Maß beschränkt. Die Radgrößen reichen von 16 bis 20 Zoll.
Für die Längsdynamik sorgt eine große Palette Otto- und Dieselmotoren, wobei vor allem der neue Vierzylinder-Diesel Beachtung verdient: Das intern OM654 genannte 2,0-Liter-Aggregat ist Vorbote einer neuen Motorengeneration, die in Zukunft auch Sechs-Zylinder-Reihenmotoren umfassen wird.
In den ersten zwei bis drei Jahren orientiert sich das Motorenprogramm noch weitgehend am Vorgängermodell: Es reicht von den bekannten Motoren mit vier und sechs Zylindern bis hin zum AMG E 63, der jetzt den 4,0-Liter-V8 aus dem AMG GT erhält. Dazwischen rangiert der E 450 AMG mit Sechszylinder-Biturbo; eine klassische V8-Variante gibt es nicht mehr.
Dafür bringen die Stuttgarter mit gewisser Verzögerung einen Plug-in-Hybrid auf den Markt, der auf dem Vier-Zylinder-Ottomotor basiert und deutlich über 50 Kilometer rein elektrisch zurücklegen kann. Später sollen dann Varianten mit integriertem Starter-Generator auf den Markt kommen, die über eine 48-Volt-Elektrik verfügen und elektrisch spürbar boosten können.
Neues gibt es beim Getriebe: Die Einstiegsvarianten kommen serienmäßig mit einem erstmals von ZF zugelieferten Sechs-Gang-Handschaltgetriebe, überall sonst ist der hauseigene, NAG3 genannte Neun-Stufen-Automat Serie. Die Kraftübertragung erfolgt wie gehabt auf die Hinterräder, einen permanenten Allradantrieb wird es bei vielen Varianten gegen Aufpreis geben. Bemerkenswert: Auch ohne Hybridisierung dürften die Verbräuche erheblich sinken – teilweise um fast 20 Prozent. Verantwortlich dafür sind Feinarbeit an den Motoren, die neuen Getriebe, ein um rund 70 Kilogramm abgesenktes Gewicht – und eine hervorragende Aerodynamik: Der cw-Wert der Einstiegsvariante dürfte bei im Segment rekordverdächtigen 0,23 liegen.
Die E-Klasse kommt mit einer komplett neuen Bordelektronik, die das Auto nicht nur 48-Volt-fähig macht, sondern auch neue Welten bei den Assistenzsystemen eröffnet, die teils in aufpreispflichtigen Paketen gebündelt sind. So hält die Drive-Pilot-Funktion die Limousine in der Spur und auf Abstand – und zwar bei bis zu 210 km/h. Bei plötzlichem Ausweichen greift der Lenk-Assistent verstärkend und stabilisierend ein. Per Car-to-X-Kommunikation wird der Fahrer vor weit vorausliegenden Gefahren gewarnt. Der Drive Pilot verlangt, dass der Fahrer periodisch Rückmeldung gibt; dafür muss nur ein Sensor auf dem Lenkrad berührt werden. An Schock-Videos wie jenem eines holländischen Tesla mit so genanntem „Autopilot“, dessen Passagiere sich bei Autobahntempo auf die Rückbank verkrümelt haben, hat Daimler nach eigenem Bekunden jedenfalls kein Interesse.
Sollte es trotzdem jemand versuchen, so steigt das Assistenzsystem nicht einfach komplett aus, sondern es bringt den Wagen langsam und kontrolliert zum Stillstand. Übrigens kann die neue E-Klasse auch per Befehl vom Blinkerhebel die Spur wechseln – keine eminent wichtige Innovation, aber eine Funktion, um die Tesla einiges Aufhebens gemacht hat und die man der Kundschaft deshalb nicht vorenthalten möchte. Kein Wunder, dass Daimler von der „intelligentesten Limousine der Welt“ spricht.
Neben dem Fahr- und Antriebskomfort und den Assistenzsystemen begeistert die E-Klasse mit einer Opulenz, die an die S-Klasse heranreicht und sie teilweise sogar übertrifft. Die Sitze verfügen optional über nochmals mehr Massage-Optionen, und die Instrumentierung kommt in der gehobenen Variante mit einem extrem breiten, frei konfigurierbaren Bildschirm. Die Einstiegs-Instrumentierung wirkt mit dreidimensional verbauten Tuben, die von einer verchromten Spange zusammengehalten werden, etwas weniger geschmackssicher.
Die Stereoanlage gehört übrigens zum Feinsten, was derzeit zu bekommen ist. Neben einem Einstiegsgerät gibt es zwei Ausbaustufen, die beide gemeinsam mit den Spezialisten der Hifi-Manufaktur Burmester entwickelt wurden.
Und das Exterieur? Im Vergleich zur kastenförmigen Vorgänger vollzieht die E-Klasse einen großen Designsprung, wenngleich die neue Linie von den Limousinen der C- und S-Klasse bereits vorgegeben wurde. Doch in der E-Klasse findet sie ihre bislang harmonischste Ausprägung – und zwar gleich zweifach: Mit dem vom klassischen SL inspirierten „Sportkühler“ wirkt die Baureihe sportlich und dynamisch; uns gefällt jedoch weiterhin der „Luxuskühler“ mit auf der Motorhaube montiertem Stern. Hier ist das Fugenbild an Kühler und Motorhaube perfekt gelöst – und der klassische Stern passt am besten zu diesem Auto, das auch in Zukunft die Quintessenz der Marke verkörpern wird. Die Produktion läuft Anfang Januar an, in den Verkauf gelangt die Limousine im April. (ampnet/jm)
[…] Mitfahren durften wir bei der noch getarnten neuen E-Klasse ja schon in den USA. Jetzt hatten wir Gelegenheit, das Interieur und vor allem das neue technische Innenleben zu erleben, direkt in Sindelfingen, der Heimat aller Mercedes-Benz-Modelle. […]