Hier sind es nicht die Esel, die aufs Eis gehen, wenn’s ihnen zu wohl ist. In Arvidsjaur sind es eher die Rentiere, ab und an ein Elch und sehr viele Menschen, die man hier im Sommer nicht findet. Hier nahe dem Polarkreis wohnen rund 5.000 Schweden. Von November bis März sind es rund 1.500 Menschen mehr. Sie kommen aus allen Teilen Europas, um Autos unter arktischen Bedingungen zu testen, auf dem Eis der vielen Tausend Seen sicheres Fahren im Winter zu lernen und zum ganz persönlichen Vergnügen die hohe Kunst des Driftens auszuüben.
So erreicht die Kleinstadt den Kraftstoffverbrauch einer Großstadt. Das mag Mitteleuropäer, die ständig nach dem geringeren Verbrauch jagen, verdrießen. Aber für den winterlichen Auftrieb sprechen dennoch gute Gründe. Es geht nicht nur allein um die Funktion von Fahrzeugen bei Temperaturen, die gern auch einmal unter minus 20 Grad Celsius fallen. Niemand will heute mehr wie unsere Altvorderen die Starterbatterie ausbauen, damit der Käfer am nächsten Morgen wieder anspringt. Heizung, Lüftung, heizbare Scheiben für rasche Sicht, nicht bröckelndes Wasser für die Scheibenwaschanlage – wir haben uns daran gewöhnt. Auch die Abstimmung von Sicherheitssystemen wie dem ESP lässt sich auf Eis schneller und risikoloser vornehmen.
Aber zwischen den sanften, mit Tannen bewachsenen Hügeln geht es in der flauen Wintersonne nicht nur ums Auto, seine Zuverlässigkeit, Komfort und Sicherheit. Es geht auch um die Menschen, die hier oben leben. Seit Jahrzehnten versucht die schwedische Regierung sie davon zu überzeugen, dieses im Sommer wie im Winter unwirtliche Land der Rentiere und der Samen nicht zu verlassen. Dazu braucht es Arbeitsplätze und Einkommen aus Vermietung, Gastronomie und der Kunst des Eismachens auf den Seen. Arvidsjaur und andere Ortschaften Lapplands wie Arjeplog leben im Winter vom Auto, wie Wolfsburg von Volkswagen.
Es zählt zu den guten Traditionen der Topmanager der Automobilindustrie, einmal im Jahr im hohen Norden die nächste Generation ihrer Modelle zu erleben. VW-Chef Martin Winterkorn und seine Mit- und Markenvorstände Wolfgang Hatz, Heinz-Jakob Neußer, Matthias Müller, Rupert Stadler und Ulrich Hackenberg waren deswegen jetzt schon hier und haben sich den Spaß mit dem VW Golf R nicht entgehen lassen.
Das wird sicherlich kein unangenehmer Termin für die Oberen des Konzerns gewesen sein. Aber andere wollen auch ihren Spaß mit dem R-Golf haben. So rücken erst die Journalisten und später die Teilnehmer an den diversen Driving-Academies hier oben an, um Eis und Autos zu erleben.
In der Nacht lagen die Temperaturen bei minus 27 Grad Celsius. Auch noch am Morgen, als wir bei minus 16 Grad auf den Hof zu den Volkswagen Golf R treten, schmerzt der erste Atemzug. Wir sollen mit dem Auto driften, von dem VW-Entwicklungsvorstand Heinz-Jacob Neußer sagt, es reize das Leistungsvermögen des Golf voll aus.
Es ist noch dunkel, als wir auf den See fahren. Benjamin Leuchter („Ich bin auf der Nordschleife zuhause“) hat sich unserer Gruppe angenommen und soll uns nun zeigen, wie man einen Fronttriebler mit automatische zuschaltendem Allradantrieb und ESP ohne Handbremshebel zum Ausbrechen in den Drift bringt.
Für den Allrad-Vortrieb ist die Längssperre fungierenden Haldex-Kupplung (fünfte Generation) zuständig. In Querrichtung übernehmen die in das elektronische Stabilisierungsprogramm integrierte elektronische Differenzialsperren. Sie ermöglicht via Anbremsen des durchdrehenden Rades eine stabile Übertragung der Antriebskraft durch das gegenüberliegende Rad. Beim Golf R kommen die elektronischen Differenzialsperren als sogenanntes Vierrad-EDS an beiden Achsen zum Einsatz.
Darüber hinaus ist der Golf R an der Vorder- und Hinterachse mit XDS+ ausgestattet, das bei schneller Kurvenfahrt die kurveninneren Räder anbremst und so das Lenkverhalten optimiert. Sobald die Elektronik erkennt, dass eines der kurveninneren Räder bei schneller Fahrt zu sehr entlastet wird, baut die Hydraulik der Electronic Stability Control (ESC) an diesem Rad gezielt einen Bremsdruck auf, um wieder die optimale Traktion herzustellen. Das XDS+ wirkt so als Quer-Sperrdifferenzial, mit dem das Untersteuern in schnell gefahrenen Kurven ausgeglichen wird.
Der neue Golf R ist außerdem serienmäßig mit der Funktion „ESC Sport“ ausgestattet. Aktiviert wird das System über einen zweistufigen Schalter auf der Mittelkonsole. Drückt der Fahrer die Taste ein-mal kurz, schaltet die Electronic Stability Control (ESC) in den Modus „ESC Sport“. Bei sehr schnellen und kurvenreichen Fahrten spricht das ESC später an. Das war unsere Lieblingsstellung auf dem Eis. Mit einem längeren Druck auf die Taste das ESP ganz auszuschalten, verlangt den kompletten Profi am Steuer.
Im Ergebnis hieß das für uns: Einlenken, bis die Lenkung reagiert. Dann aufs Gas, um das Heck herumzuholen und stehen lassen bis nach dem Kurvenscheitel, dann voll aufs Gas. Dabei dürfen sich die 300 Pferdchen des 2.0 TFSI-Motors so richtig austoben und die Elektronik kann das maximale Drehmoment von 380 Newtonmeter passend auf die Räder verteilen.
Auf dem Eis bringt der R natürlich nicht die maximale Beschleunigung von 5,1 Sekunden von 0 auf 100 km/h beim Sechs-Gang-Handschalter oder 4,9 Sekunden mit dem Doppelkupplungsgetriebe auf die Bahn. Auch vom Normverbrauch von 7,1 Litern auf 100 km ist man bei dieser Fahrweise auf Eis weit entfernt. Aber im Normalbetrieb auf trockenen Straßen hat man seine Freude am um im Vergleich zum Vorgänger 1,4 Liter niedrigeren Verbrauch, den 30 Mehr-PS und den 30 Extra-Newtonmetern Drehmoment.
Das maximale Drehmoment steht übrigens im weiten Bereich zwischen 1800 und 5500 Umdrehungen pro Minute zur Verfügung, was nicht nur auf dem Eis von Arvidsjaur von Vorteil ist. Der Golf R marschiert beeindruckend durch die Übungen und die Handlingkurse. Daran haben natürlich auch die Winterreifen mit Spikes auf den 17-Zoll-Rädern ihren Anteil, die man uns in Deutschland ja schon vor Jahrzehnten weggenommen hat, die aber im Norden Skandinaviens auf kaum einem Auto fehlen.
Mag sein, wir waren am Ende eines langen und kalten Tages mit heißen Ritten wirklich so gut, wie das Lob von unserem Benjamin uns glauben machen wollte. Von seinen eigenen Leistungen waren wir trotz des Training noch weit entfernt. Unter den Instruktoren läuft ein täglicher Wettstreit um die beste Rundenzeit. Benjamin lag an unserem Tag eine Sekunde vorn und wies einen mehrfachen Rallye-Meister in die Schranken: „Du fährst zu eckig“, sagte er. Die Rallye-Fahrer fahren ihm, der den Drift perfekt beherrscht, zu intensive Drifts. Weniger ist eben manchmal schneller, sagt Benjamin. Aber es geht ja auch um den Spaß. Statt der sprichwörtlichen Fliegen auf der Seitenscheibe ist Schnee auch schön. (ampnet/Sm)